Posten oder nicht posten?

Diese Aussagen sind soweit wahr:

  1. Es gibt Dinge, die mich so sehr beschäftigen, dass ich unbedingt darüber sprechen/schreiben und sie teilen will. Das ist mein Mitteilungsbedürfnis.
  2. Ich möchte mein Mitteilungsbedürfnis im Internet stillen. Und mein persönlicher Ort dort ist mein Blog geworden.
  3. Das Internet ist ein offener Ort, zu dem sehr viele Menschen Zugang haben.
  4. Mein Blog ist Teil des Internets und offen zugänglich.
  5. Mein Blog ist ein Stück safe space für mich geworden.

Die Kombination aus 1, 2 und 5 ist schön, darüber freue ich mich. Wieso sollte ich mich nicht freuen, dass es irgendwo einen Ort gibt, an dem ich mich mitteilen kann und mich dabei wohlfühle? Problematisch wird es aber durch Aussage 3 und 4, weil ich grundsätzlich ein Mensch bin, dem der Selbstschutz im Internet nicht komplett schnurz ist. Und diese Umstände machen das Bloggen an manchen Tagen für mich ganz schön schwierig, weil ich nicht weiß, wohin es mich mehr zieht. „Posten oder nicht posten? Will ich mich heute mitteilen und dafür ein bisschen mehr von mir erzählen oder lieber doch für mich behalten und schön die Grenzen des Privaten wahren?“

Jedes Mal, wenn sich mir diese Frage stellt, wünsche ich mir einen Leitfaden, einen Entscheidungsbaum mit Ja/Nein-Fragen. Wie bei diesen Tests in den Jugendmagazinen, wo mir am Ende gesagt wird: „Ja, posten, sofort!“ oder „No way! Das ist zu privat!“. Aber sowas gibt es leider nicht. Stattdessen gibt es nur ein vages „Das macht schon mein Bauchgefühl“, aber wer versichert mir, dass mein Bauchgefühl sich nicht in die Irre leiten lässt und Situationen falsch einschätzt?

Richtig, niemand. Aber Tatsache ist auch, dass das bisher die beste Option ist. Mittlerweile – ich habe dieses Thema unendlich oft in meinem Kopf aufgemacht und diskutiert – weiß ich, dass die Entscheidung für/gegen das Posten komplexer ist als ein Ja/Nein-Entscheidungsbaum. Sie hängt mehr als nur von der Thematik oder der reinen Information an sich ab. Was ebenso wichtig ist: der Kontext, der Zeitpunkt, die eigene Persönlichkeit, der Gemütszustand. Am Tag X mag ein Text noch viel zu persönlich sein. Aber aufgrund eines Moments der Erkenntnis könnte ich zwei Tage später zu dem Schluss kommen, dass der Tag gekommen ist, um genau diesen Text zu veröffentlichen. Ich werfe den Selbstschutz über Bord, weil die Mitteilung in die Welt das allemal wert ist.

Besonders die Technik des Internets macht das Bloggen und die Entscheidung zwischen Mitteilungsbedürfnis oder Selbstschutz an manchen Tagen zu einer echten Gratwanderung. Es ist die Kombination aus

  • Asynchronität des Informationsflusses (= Information kann viele Zeit später und immer wieder aufgerufen werden)
  • Vermischung vom sicheren Ort des Schreibtisches mit der Sicherheit des zweidimensionalen Browsers, hinter dem sich das weitläufige Internet befindet
  • Schnelligkeit des Internets, die jeden Impuls aufnimmt und jede Wartezeit und damit auch Momente des Zögerns und Reflektierens eliminiert
  • und noch vieles mehr, was ich vergessen habe, hier aufzuzählen.

Du weißt nicht, wie oft ich diesen Text hier umgeschrieben habe und wie viele Gedanken ich gestrichen habe, weil es den Rahmen sprengen würde. Ich wollte doch nur mal kurz über diese Frage, die mich wiederholt umtreibt, schreiben und keine Abschlussarbeit. Aber ich muss zugeben, es ist ein sehr komplexes Thema und umso länger ich mich damit befasse, desto mehr Kommentare fallen mir ein, inwiefern die Frage „Posten oder nicht posten?“ beantwortet werden kann oder was noch alles beachtet werden könnte. Der Text klingt an einigen Stellen abgehackt und vielleicht auch kryptisch. Vielleicht findet sich mal Motivation, das größer aufzuziehen. Aber mittlerweile bin ich an einem Punkt angekommen, wo es mir nur noch darum geht in die Welt hinauszuposaunen, wie ich zukünftig zwischen Mitteilungsbedürfnis und Selbstschutz entscheiden will.

Also: Wie?

Die Aussage „Das macht schon mein Bauchgefühl“ ist nicht falsch, sie war nur unvollständig. Ich erweitere sie auf „Höre auf dein Bauchgefühl. Aber frage jedes (!) Mal aktiv dein Bauchgefühl. Denn jedes Mal befindest du dich in einem anderen Kontext, einem anderen Gemütszustand, an einem anderen Zeitpunkt in der Gesellschaft und in deiner persönlichen Entwicklung“.

Und dann wird der Bauch schon vor Vorfreude glucksen – oder sich doch lieber aus Skepsis dem Internet gegenüber zusammenziehen.

Meine Wohlfühlblase mit meinem Gewissen vereinbaren

In den letzten Tagen habe ich wiederholt versucht, einen Text zu schreiben. Aber meine Gedanken waren so verworren, kein roter Faden erkennbar. Immer wieder habe ich von Neuem angefangen. Mal mit Fragen, die mir durch den Kopf gingen, dann doch lieber mit den Antworten, die ich darauf fand. Aber es wollte nicht so richtig werden. Es war frustrierend für mich, meine Gedanken nicht schriftlich sortieren zu können. Also hab ich es erst mal gelassen. Jetzt versuche ich mit einem anderen Ansatz meine Gedanken mitzuteilen. Gewissermaßen aus der Distanz.

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Der Gedanke: Wohlfühlblase und Weltgeschehen

Der Gedanke, den ich ausführen wollte, beschäftigt sich mit meinem schlechten Gewissen, das ich habe, wenn ich mich zurzeit zufrieden in meine Wohlfühlblase begebe, die mit Hobbys und Projekten geschmückt ist. Zur gleichen Zeit passieren weiterhin Dinge auf der Welt, die mit dem Wort „schlecht“ nur sehr oberflächlich beschrieben werden können. Als ob die Pandemie an sich nicht genug wäre, haben sich in den letzten zwei Wochen schlimme Dinge ereignet, die die Menschen vor Ort sehr verunsichert zurücklassen. Ich, aus der Ferne, kann kaum erahnen, was für ein schreckliches Gefühl es sein muss, wenn sich ein Attentat in der eigenen Stadt ereignet. Dazu diese Woche der Beginn des Lockdown lights und die Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten. Alles kräftezehrend. Aber für mich nur sehr am Rande. Schnell erscheint mir das Weltgeschehen wieder fern und ich nehme sie nur zur Kenntnis. So sehr habe ich mich in meine kuschlige Blase eingemummelt. Ich sitze zuhause, freue mich auf die Zeit mit mir und genieße sie. Weil ich meinem Interesse nachgehen konnte, mich neu ausprobiert habe, etwas gelernt habe. Und mir wird bewusst, wie ignorant ich dem Weltgeschehen gegenüber sein kann.

Die Frage(n)

Die Fragen, die ich mir stellte, waren also:
Darf ich guten Gewissens mich ständig mit meinem Wohlbefinden und Glücklichsein beschäftigen, während da draußen so vieles beschissen läuft? Möchte ich so ignorant und egoistisch sein und mich so abschotten?
Die Wörter ignorant und egoistisch sind bei mir negativ behaftet, obwohl ich mittlerweile nicht mehr denke, dass egoistisch ausschließlich schlecht sein muss.
Meine Antwort darauf? „Ja, ich darf.“ Aber Teil der Antwort ist auch eine Gegenfrage. Für mich stellt sich am Ende nicht mehr die Frage, ob ich das will und darf, mich vom Weltgeschehen zurückzuziehen. Viel mehr frage ich mich jetzt:
Wie und wie lange will ich das bzw. mich davon zurückziehen?

 Die Antwort(en) auf die Gegenfrage

Diese Frage beantwortet jede:r für sich selbst – ganz klar. Jede:r hat eine eigene Biografie und Umstände, die die Antwort beeinflussen. Meine Antwort sieht wie folgt aus:
  1. Es braucht ein Gleichgewicht aus Entspannung und Spannung.
  2. Spannung: Sich mit dem Weltgeschehen beschäftigen, wissen was um mich passiert und hingucken.
  3. Entspannung: Ich darf mir gute Zeit gönnen und diese genießen.
  4. Diese Entspannungsphase kann aber nicht ewig andauern, denn durch die Beschäftigung mit mir selbst (auch bekannt unter Me-Time oder Selbstoptimierung) wird die Welt auch nicht besser.
  5. Die Welt wird aber auch nicht durch ein schlechtes Gewissen besser. Viel mehr braucht es Aktion. Was folgt aus dem schlechten Gewissen?
  6. Ich nutze die Zeit der Entspannung, um – welch Überraschung! – mich zu entspannen. Freier Kopf. Daraus kann ich hoffentlich Kraft tanken.
  7. Ich erwarte aber auch von mir, Verantwortung zu tragen, wenn ich die Kraft dazu habe. Verantwortung kann sehr unterschiedlich definiert werden. Dazu gehört meiner Meinung auch schon zu wissen, dass die Welt als System verdammt ungerecht ist. Und sich als Teil des Systems zu sehen, was bedeutet, dass man auf jeden Fall irgendwie „mit drin hängt“.
  8. An dieser Stelle, mit dem Wissen, darf es im Alltag durchaus enden. Langfristig will ich weiter: Was kann ich tun? Ich will es wirklich versuchen: verstehen und in Aktion treten. Nichts großes, aber etwas tun.
  9. Zusammenfassend also auf die Suche nach diesem sagenumwobenen Gleichgewicht (siehe Punkt 1) gehen.

Wegweiser

Insofern schließe ich dieses Thema mit den Aussagen 1 bis 9 ab, die mir hoffentlich ein wenig den Weg weisen, wenn mich dieses Gefühl der Diskrepanz überkommt. Wenn negative Dinge sich in der Welt häufen und ich aber einfach nur Lust auf Wohlfühlblase habe. Ich werde mit der Zeit sehen, ob das hier ein Wegweiser sein kann oder nicht. Ob ich wirklich Kraft schöpfen kann, um Dinge anzustoßen oder ob das alles hier nicht doch nur eine Rechtfertigung ist.

~

Ich merke, dass dieser Text noch mehr aufwühlt in mir. Viele Einwände, viele „Aber bedenke doch auch“s, viele unerwähnte Zwischentöne. Deshalb fiel es mir so schwer, diesen Gedanken in einen Text zu fassen. Ich bin noch lange nicht fertig, glaube ich.
Und ich bin froh, erleichtert und stolz, was am Ende herausgekommen ist.